∞Studirzimmer
∞Faust.
Mephistopheles
∞Mephistopheles
1532So gefällst du mir.
1533Wir werden, hoff’ ich, uns vertragen;
1534Denn dir die Grillen zu verjagen
1535Bin ich, als edler Junker, hier,
1536In rothem goldverbrämten Kleide,
1537Das Mäntelchen von starrer Seide,
1538Die Hahnenfeder auf dem Hut,
1539Mit einem langen, spitzen Degen,
1540Und rathe nun dir, kurz und gut,
1541Dergleichen gleichfalls anzulegen;
1542Damit du, losgebunden, frey,
1543Erfahrest was das Leben sey.
∞Faust
1544In jedem Kleide werd’ ich wohl die Pein
1545Des engen Erdelebens fühlen.
1546Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
1547Zu jung, um ohne Wunsch zu seyn.
1548Was kann die Welt mir wohl gewähren?
1549Entbehren sollst du! sollst entbehren!
1550Das ist der ewige Gesang,
1551Der jedem an die Ohren klingt,
1552Den, unser ganzes Leben lang,
1553Uns heiser jede Stunde singt.
1554Nur mit Entsetzen wach’ ich Morgens auf,
1555Ich möchte bittre Thränen weinen,
1556Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
1557Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,
1559Mit eigensinnigem Krittel mindert,
1560Die Schöpfung meiner regen Brust
1561Mit tausend Lebensfratzen hindert.
1562Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,
1563Mich ängstlich auf das Lager strecken,
1564Auch da wird keine Rast geschenkt,
1565Mich werden wilde Träume schrecken.
1566Der Gott, der mir im Busen wohnt,
1567Kann tief mein Innerstes erregen,
1568Der über allen meinen Kräften thront,
1569Er kann nach außen nichts bewegen;
1570Und so ist mir das Daseyn eine Last,
1571Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.
∞Faust
1574Die blutgen Lorbeern um die Schläfe windet,1574 blutgen ] A blut’gen D.1 blut’gen B B.a (IV a)1574 Lorbeern ] A Lorber’n B Lorbern B.a (IV a)
1575Den er, nach rasch durchrastem Tanze,
1576In eines Mädchens Armen findet.
1577O wär’ ich vor des hohen Geistes Kraft
1578Entzückt, entseelt dahin gesunken!
∞Faust
1583Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
1584Ein süß bekannter Ton mich zog,
1585Den Rest von kindlichem Gefühle
1586Mit Anklang froher Zeit betrog;
1587So fluch’ ich allem was die Seele
1588Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt,
1590Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt!
1591Verflucht voraus die hohe Meinung,
1592Womit der Geist sich selbst umfängt!
1593Verflucht das Blenden der Erscheinung,
1594Die sich an unsre Sinne drängt!
1595Verflucht was uns in Träumen heuchelt,
1596Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
1597Verflucht was als Besitz uns schmeichelt,
1598Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!
1599Verflucht sey Mammon, wenn mit Schätzen
1600Er uns zu kühnen Thaten regt,
1601Wenn er zu müßigem Ergetzen
1602Die Polster uns zurechte legt!
1603Fluch sey dem Balsamsaft der Trauben!
1604Fluch jener höchsten Liebeshuld!
1605Fluch sey der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
1606Und Fluch vor allen der Geduld!
∞Geisterchor
∞unsichtbar
1607Weh! weh!
1608Du hast sie zerstört,
1609Die schöne Welt,
1610Mit mächtiger Faust,
1611Sie stürzt, sie zerfällt!
1612Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
1613Wir tragen
1614Die Trümmern ins Nichts hinüber,
1615Und klagen
1616Über die verlorne Schöne.
1617Mächtiger
1618Der Erdensöhne,
1619Prächtiger
1620Baue sie wieder,
1621In deinem Busen baue sie auf!
1622Neuen Lebenslauf
1623Beginne,
1624Mit hellem Sinne,
1625Und neue Lieder
1626Tönen darauf!
∞Mephistopheles
1627Dies sind die kleinen
1628Von den Meinen.
1629Höre, wie zu Lust und Thaten
1630Altklug sie rathen!
1631In die Welt weit,
1632Aus der Einsamkeit,
1633Wo Sinnen und Säfte stocken,
1634Wollen sie dich locken.
1635Hör’ auf mit deinem Gram zu spielen,
1636Der, wie ein Geyer, dir am Leben frißt;
1637Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen
1638Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
1640Dich unter das Pack zu stoßen.
1641Ich bin keiner von den Großen;
1642Doch willst du, mit mir vereint,
1643Deine Schritte durchs Leben nehmen;
1644So will ich mich gern bequemen
1645Dein zu seyn, auf der Stelle.
1646Ich bin dein Geselle
1647Und, mach’ ich dir’s recht,
1648Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!
∞Faust
1651Nein nein! der Teufel ist ein Egoist
1652Und thut nicht leicht um Gottes Willen
1654Sprich die Bedingung deutlich aus;
1655Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus.
∞Mephistopheles
1656Ich will mich hier zu
deinem Dienst verbinden,
1657Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
1658Wenn wir uns drüben
wieder finden,
1659So sollst du mir das Gleiche thun.
∞Faust
1660Das Drüben kann mich wenig kümmern,
1661Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
1662Die andre mag darnach entstehn.
1663Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
1664Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
1665Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
1666Dann mag was will und kann geschehn.
1667Davon will ich nichts weiter hören,
1668Ob man auch künftig haßt und liebt,
1669Und ob es auch in jenen Sphären
1670Ein Oben oder Unten giebt.
∞Mephistopheles
1671In diesem Sinne kannst du’s wagen.
1672Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
1673Mit Freuden meine Künste sehn,
1674Ich gebe dir was noch kein Mensch gesehn.
∞Faust
1675Was willst du armer Teufel geben?
1676Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
1677Von deines Gleichen je gefaßt?
1678Doch hast du Speise die nicht sättigt, hast
1679Du rothes Gold, das ohne Rast,
1680Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
1681Ein Spiel, bey dem man nie gewinnt,
1682Ein Mädchen, das an meiner Brust
1683Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet,
1684Der Ehre schöne Götterlust,
1685Die, wie ein Meteor, verschwindet.
1686Zeig mir die Frucht die fault, eh’ man sie bricht,
1687Und Bäume die sich täglich neu begrünen!
∞Mephistopheles
1688Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
1689Mit solchen Schätzen kann ich dienen.
1690Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran
1691Wo wir was Gut’s in Ruhe schmausen mögen.
∞Faust
1692Werd’ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen;
1693So sey es gleich um mich gethan!
1694Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
1695Daß ich mir selbst gefallen mag,
1696Kannst du mich mit Genuß betrügen;
1697Das sey für mich der letzte Tag!
1698Die Wette biet’ ich!
∞Faust
1698Und Schlag auf Schlag!
1699Werd’ ich zum Augenblicke sagen:
1700Verweile doch! du bist so schön!
1701Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
1702Dann will ich gern zu Grunde gehn!
1703Dann mag die Todtenglocke schallen,
1704Dann bist du deines Dienstes frey,
1705Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
1706Es sey die Zeit für mich vorbey!
∞Faust
1708Dazu hast du ein volles Recht;
1709Ich habe mich nicht freventlich vermessen.
1710Wie ich beharre bin ich Knecht,
1711Ob dein, was frag’ ich, oder wessen.
∞Mephistopheles
1712Ich werde heute gleich, beym Doctorschmaus,
1713Als Diener, meine Pflicht erfüllen.
1714Nur eins! – um Lebens oder Sterbens willen,
1715Bitt’ ich mir ein Paar Zeilen aus.
∞Faust
1716Auch was geschriebnes forderst du Pedant?
1717Hast du noch keinen Mann, nicht Mannes-Wort gekannt?
1718Ist’s nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
1719Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?
1720Ras’t nicht die Welt in allen Strömen fort,
1721Und mich soll ein Versprechen halten?
1722Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,
1723Wer mag sich gern davon befreyen?
1724Beglückt wer Treue rein im Busen trägt,
1725Kein Opfer wird ihn je gereuen!
1726Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
1728Das Wort erstirbt schon in der Feder,
1729Die Herrschaft führen Wachs und Leder.
1730Was willst du böser Geist von mir?
1731Erz, Marmor, Pergament, Papier?
1732Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
1733Ich gebe jede Wahl dir frey.
∞Mephistopheles
1734Wie magst du deine Rednerey
1735Nur gleich so hitzig übertreiben?
1736Ist doch ein jedes Blättchen gut.
1737Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.
∞Faust
1741Nur keine Furcht, daß ich dieß Bündniß breche!
1742Das Streben meiner ganzen Kraft
1743Ist g’rade das was ich verspreche.
1744Ich habe mich zu hoch gebläht,
1745In deinen Rang gehör’ ich nur.
1746Der große Geist hat mich verschmäht,
1747Vor mir verschließt sich die Natur.
1748Des Denkens Faden ist zerrissen,
1749Mir ekelt lange vor allem Wissen.
1750Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
1751Uns glühende Leidenschaften stillen!
1752In undurchdrungnen Zauberhüllen
1753Sey jedes Wunder gleich bereit!
1754Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit
1755In’s Rollen der Begebenheit!
1756Da mag denn Schmerz und Genuß,
1757Gelingen und Verdruß,
1758Mit einander wechseln wie es kann;
1759Nur rastlos bethätigt sich der Mann.
∞Mephistopheles
1760Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
1761Beliebt’s euch überall zu naschen,
1762Im Fliehen etwas zu erhaschen;
1763Bekomm euch wohl was euch ergetzt.
1764Nur greift mir zu und seyd nicht blöde!
∞Faust
1765Du hörest ja, von Freud’ ist nicht die Rede.
1766Dem Taumel weih’ ich mich, dem schmerzlichsten
Genuß,
1767Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
1768Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
1769Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
1770Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
1771Will ich in meinem innern Selbst genießen,
1772Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen,
1773Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
1774Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
1775Und, wie sie selbst, am End’ auch ich zerscheitern.
∞Mephistopheles
1776O glaube mir, der manche tausend Jahre
1777An dieser harten Speise kaut,
1778Daß von der Wiege bis zur Bahre
1779Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
1780Glaub’ unser einem, dieses Ganze
1781Ist nur für einen Gott gemacht!
1782Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
1783Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
1784Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
∞Mephistopheles
1785Das läßt sich hören!
1786Doch nur vor Einem ist mir bang’;
1787Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
1788Ich dächt’, ihr ließet euch belehren.
1789Associirt euch mit einem Poeten,
1790Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
1791Und alle edlen Qualitäten
1792Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
1793Des Löwen Muth,
1794Des Hirsches Schnelligkeit,
1795Des Italiäners feurig Blut,
1796Des Nordens Dau’rbarkeit.
1797Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
1798Großmuth und Arglist zu verbinden,
1799Und euch, mit warmen Jugendtrieben,
1800Nach einem Plane, zu verlieben.
1801Möchte selbst solch einen Herren kennen,
1802Würd’ ihn Herrn Mikrokosmus nennen.
∞Faust
1803Was bin ich denn? wenn es nicht möglich ist
1804Der Menschheit Krone zu erringen,
1805Nach der sich alle Sinne dringen.
∞Mephistopheles
1806Du bist am Ende – was du bist.
1807Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
1808Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
1809Du bleibst doch immer was du bist.
∞Faust
1810Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
1811Des Menschengeist’s auf mich herbeygerafft,
1812Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
1813Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
1814Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
1815Bin dem Unendlichen nicht näher.
∞Mephistopheles
1816Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
1817Wie man die Sachen eben sieht;
1818Wir müssen das gescheidter machen,
1819Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
1820Was Henker! freylich Händ’ und Füße
1821Und Kopf und H —
— die sind dein;
1822Doch alles was ich frisch genieße,
1823Ist das drum weniger mein?
1824Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
1825Sind ihre Kräfte nicht die meine?
1826Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
1827Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
1828Drum frisch! laß alles Sinnen seyn,
1829Und g’rad’ mit in die Welt hinein!
1831Ist wie ein Thier, auf dürrer Heide
1832Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
1833Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
∞Mephistopheles
1834Wir gehen eben fort.
1835Was ist das für ein Marterort?
1836Was heißt das für ein Leben führen,
1837Sich und die Jungens ennuyiren?
1838Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
1839Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
1841Darfst du den Buben doch nicht sagen.
1842Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
∞Mephistopheles
1844Der arme Knabe wartet lange,
1845Der darf nicht ungetröstet gehn.
1846Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
1847Die Maske muß mir köstlich stehn.
∞Er kleidet sich
um.
1848Nun überlaß es meinem Witze!
1849Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
1850Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
∞
Faust ab
∞Mephistopheles
∞in Faust’s langem
Kleide
1851Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
1852Des Menschen allerhöchste Kraft,
1853Laß nur in Blend- und Zauberwerken
1854Dich von dem Lügengeist bestärken,
1855So hab’ ich dich schon unbedingt –
1856Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
1857Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
1858Und dessen übereiltes Streben
1859Der Erde Freuden überspringt.
1860Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
1861Durch flache Unbedeutenheit,
1862Er soll mir zappeln, starren, kleben,
1863Und seiner Unersättlichkeit
1864Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;
1865Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
1866Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
1867Er müßte doch zu Grunde gehn!
∞Ein Schüler tritt auf
∞Mephistopheles
1872Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
1873Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
1874Habt ihr euch sonst schon umgethan?
∞Schüler
1875Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an!
1876Ich komme mit allem guten Muth,
1877Leidlichem Geld und frischem Blut;
1878Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
∞Schüler
1881Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
1882In diesen Mauern, diesen Hallen,
1883Will es mir keineswegs gefallen.
1884Es ist ein gar beschränkter Raum,
1885Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
1886Und in den Sälen, auf den Bänken,
1887Vergeht mir Hören, Seh’n und Denken.
∞Mephistopheles
1888Das kommt nur auf Gewohnheit an.
1889So nimmt ein Kind der Mutter Brust
1890Nicht gleich im Anfang willig an,
1891Doch bald ernährt es sich mit Lust.
1892So wird’s euch an der Weisheit Brüsten
1893Mit jedem Tage mehr gelüsten.
∞Schüler
1894An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
1895Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
∞Schüler
1898Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
1899Und möchte gern, was auf der Erden1899–1900 gern, bis ist, ] A B.a gern, bis den Himmel ist, S gern‸ bis ist‸ B (IV c)
1900Und in dem Himmel ist, erfassen,
1901Die Wissenschaft und die Natur.
∞Mephistopheles
1902Da seyd ihr auf der rechten Spur;
1903Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.
∞Schüler
1904Ich bin dabey mit Seel’ und Leib;
1905Doch freylich würde mir behagen
1906Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib,1906 Zeitvertreib, ] A B.a Zeitvertreib‸ S Zeitvertreib‸ B (IV c)
1907An schönen Sommerfeiertagen.
∞Mephistopheles
1908Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
1909Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
1910Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum
1911Zuerst Collegium Logicum.
1912Da wird der Geist euch wohl dressirt,
1913In spanische Stiefeln eingeschnürt,
1914Daß er bedächtiger so fort an
1915Hinschleiche die Gedankenbahn,
1917Irlichtelire hin und her.1917 Irlichtelire ] S A B.a Irrlichtelire 1 H.5 Irrlichtelire B (II b*)
1918Dann lehret man euch manchen Tag,
1919Daß, was ihr sonst auf einen Schlag
1920Getrieben, wie Essen und Trinken frey,
1922Zwar ist’s mit der Gedanken-Fabrik
1923Wie mit einem Weber-Meisterstück,
1924Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
1925Die Schifflein herüber hinüber schießen,
1926Die Fäden ungesehen fließen,
1927Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
1928Der Philosoph der tritt herein,
1929Und beweis’t euch, es müßt’ so seyn:
1930Das Erst’ wär’ so, das Zweyte so,
1931Und drum das Dritt’ und Vierte so;
1932Und wenn das Erst’ und Zweyt’ nicht wär’,
1933Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
1934Das preisen die Schüler aller Orten,
1935Sind aber keine Weber geworden.
1936Wer will was lebendig’s erkennen und beschreiben,
1937Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
1938Dann hat er die Theile in seiner Hand,
1939Fehlt leider! nur das geistige Band.
1940Encheiresin naturae nennt’s die
Chimie,
1941Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
∞Mephistopheles
1943Das wird nächstens schon besser gehen,
1944Wenn ihr lernt alles reduciren
1945Und gehörig klassificiren.
∞Mephistopheles
1948Nachher, vor allen andern Sachen
1949Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!
1951Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
1953Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
1954Doch vorerst dieses halbe Jahr
1955Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
1956Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
1958Habt euch vorher wohl präparirt,
1959Paragraphos wohl einstudirt,
1960Damit ihr nachher besser seht,
1961Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
1962Doch euch des Schreibens ja befleißt,
1963Als dictirt’ euch der Heilig’ Geist!
∞Schüler
1964Das sollt ihr mir nicht zweymal sagen!
1965Ich denke mir wie viel es nützt;
1966Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
1967Kann man getrost nach Hause tragen.
∞Mephistopheles
1970Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
1971Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
1972Es erben sich Gesetz’ und Rechte
1973Wie eine ew’ge Krankheit fort,
1974Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
1975Und rücken sacht von Ort zu Ort.
1976Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
1977Weh dir, daß du ein Enkel bist!
1978Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
1979Von dem ist leider! nie die Frage.
∞Schüler
1980Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.
1981O glücklich der! den ihr belehrt.
1982Fast möcht’ ich nun Theologie studiren.
∞Mephistopheles
1983Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
1984Was diese Wissenschaft betrifft,
1985Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,
1986Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
1988Am besten ist’s auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
1989Und auf des Meisters Worte schwört.
1990Im Ganzen – haltet euch an Worte!
1991Dann geht ihr durch die sichre Pforte
1992Zum Tempel der Gewißheit ein.
∞Mephistopheles
1994Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich
quälen;
1995Denn eben wo Begriffe fehlen,
1996Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
1997Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
1998Mit Worten ein System bereiten,
1999An Worte läßt sich trefflich glauben,
2000Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
∞Schüler
2001Verzeiht, ich halt’ euch auf mit vielen Fragen,
2003Wollt ihr mir von der Medicin
2004Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
2005Drey Jahr’ ist eine kurze Zeit,
2006Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
2007Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
2008Läßt sich’s schon eher weiter fühlen.
∞Mephistopheles
∞für sich
2009Ich bin des trocknen Tons nun satt,
2010Muß wieder recht den Teufel spielen.
∞Laut
2011Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen;
2012Ihr durchstudirt die groß’ und kleine Welt,
2013Um es am Ende gehn zu lassen,
2014Wie’s Gott gefällt.
2015Vergebens daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
2016Ein jeder lernt nur was er lernen kann;
2017Doch der den Augenblick ergreift,
2018Das ist der rechte Mann.
2019Ihr seyd noch ziemlich wohlgebaut,
2020An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,
2021Und wenn ihr euch nur selbst vertraut,
2022Vertrauen euch die andern Seelen.
2023Besonders lernt die Weiber führen;
2024Es ist ihr ewig Weh und Ach
2025So tausendfach
2026Aus Einem Puncte zu curiren,
2027Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
2029Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
2030Daß eure Kunst viel Künste übersteigt;
2031Zum Willkomm’ tappt ihr dann nach allen
Siebensachen,
2032Um die ein andrer viele Jahre streicht,
2033Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
2034Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
2035Wohl um die schlanke Hüfte frey,
2036Zu seh’n, wie fest geschnürt sie sey.
∞Schüler
2040Ich schwör’ euch zu, mir ist’s als wie ein Traum.
2041Dürft’ ich euch wohl ein andermal beschweren,
2042Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
∞Schüler
2044Ich kann unmöglich wieder gehn,
2045Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen.
2046Gönn’ eure Gunst mir dieses Zeichen!
∞Er schreibt und
giebt’s.
∞Macht’s ehrerbietig zu und empfiehlt sich.nach 2048 ehrerbietig ] ehrbietig 1 H.5 ehrerbiethig S ehrerbietieg A D.1 ehrerbietig B ehrerbiethig B.a (I a)
∞Mephistopheles
2049Folg’ nur dem alten Spruch und meiner Muhme der
Schlange,
2050Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähnlichkeit
bange!
∞Faust tritt auf
∞Mephistopheles
2051Wohin es dir gefällt.
2052Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
2053Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
2054Wirst du den Cursum durchschmarutzen!
∞Faust
2055Allein bey meinem langen Bart
2056Fehlt mir die leichte Lebensart.
2057Es wird mir der Versuch nicht glücken;
2058Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken,
2059Vor andern fühl’ ich mich so klein;
2060Ich werde stets verlegen seyn.
∞Mephistopheles
2061Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
2062Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.
∞Mephistopheles
2065Wir breiten nur den Mantel aus,
2066Der soll uns durch die Lüfte tragen.
2067Du nimmst bey diesem kühnen Schritt
2068Nur keinen großen Bündel mit.
2069Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
2070Hebt uns behend von dieser Erde.
2071Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
2072Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf!