An Schinz. 15. Juni 1775.
Hr. Lav. hat Göthen und die Grafen von Stolberg zu mir gebracht33 Vergl. Hempel XXIII 64 ff.. Ich habe auch Göthen bei Lav. einen Besuch gemacht. Die Grafen haben ein Landhaus in der Enge44 Die Enge, Vorort Zürichs, am Fuss des Uetliberges, auf der linken Seite der Limmat. gemiethet. Hr. Lav. hat Göthen eine vortheilhafte opinion von mir gemacht, die ich noch nicht verdorben habe. Er ist mit meiner Munterkeit am besten zufrieden. Er hat Brutus und Cassius für niederträchtig erklärt, weil sie den Cäsar ex insidiis, von hinten, um das Leben gebracht haben. Ich sagte, dass Cäsar sein Leben durch nichts anderes gethan, als die Republik, seine Mutter, getödtet, und die meiste Zeit durch falsche Wege. Cicero ist nach ihm ein blöder Mann, weil er nicht Cato war. Es ist sonderbar, dass ein Deutscher, der die Unterthänigkeit mit der äussersten Unempfindlichkeit erduldet, solche Ideale von Unerschrockenheit hat. Ist nicht Wehrter der blödeste, feigherzig[st]e Mann? Aber es scheint, der Verf. halte die Feigheit, welche den Schmerzen der Liebe durch den Tod entflieht, für Stärke der Seele. [ Pniower Nr. 19: Man sagt, Göthe wolle bey uns an einem Trauerspiel von Dr. Faustus arbeiten. Eine Farçe lässt sich von einem Schwindelkopf leicht daraus machen. ] Die Stollbergen sind gute Menschen. Sie brachten mir die stärksten Grüsse von Klopstok11 Seit 1773 hatte sich wieder ein freundlicheres Verhältniss zwischen Bodmer und Klopstock angebahnt., den sie vor kurzer Zeit in Hamburg gesprochen. Der jüngere will ein Bewunderer Homers seyn, ein Homerist; ich sagte, dass wir demnach von einer Sekte wären; wir wollten eine homerische Kirche anbauen, wie Lav. eine gottselige, ich durfte nicht sagen fanatische. Man sagt, sie seyen klopstokische Bardisten und von einer Gesellschaft, welche sich mit Eichenlaub kränzt, und den Braga für ihren Apollo verehrt22 Göttinger Hain.. An ihren festlichen Zusammenkünften verbrennen sie diesem Apollobraga ein Wielandisches Gedicht. Denn Wieland ist für den griechischen Apollo .... Hr. Lav. hat sich bey Hr. Dr. Hirzel nicht empfohlen, dass er diese Hrn nicht auch zu ihm geführt hat. Er hatte diese Höflichkeit doch mit dem Feuer verdient, mit welchem er gegen das Sendschreiben33 Über das »Sendschreiben« Hottingers vergl. Hempel XXIII 189, Anm. 693. Wo Hirzel dagegen auftrat, ist mir unbekannt. entonirt hat. Er hat sie auch nicht zu Steinbrüchel und Hottinger44 Kirchliche Grössen Zürichs. geführt.