370

142. Knebel an Bertuch, 23. Dezember 1774:

Von Wieland werden Sie erfahren können, daß ich Goethes Bekanntschaft gemacht habe, und daß ich etwas enthusiastisch von ihm denke. Ich kann mir nicht helfen, aber ich schwöre es, Ihr Alle, Ihr Leute die Ihr Kopf und Herz habt, Ihr würdet so von ihm denken, wenn Ihr ihn kennen solltet. Dieß bleibt mir immer eine der außerordentlichsten Erscheinungen meines Lebens. Vielleicht hat mich die Neuheit zu sehr frappirt; aber was kann ich dafür, wenn natürliche Ursachen natürliche Wirkungen bei mir hervorbringen . . .

371

Was sagt unser Wieland zu Goethens Brief? Nur böse muß er niemals auf ihn werden. Keine Menschen in der Welt würden sich geschwinder verstehen, wenn sie beysammen wären, als Wieland und Goethe. Ich bin versichert und sehe es aus allem, daß sich Klopstock und Goethe lange nicht so verstanden haben. Goethes Kopf ist sehr viel mit Wielands Schriften beschäftigt. Daher kommt es, daß sie sich reiben. Goethe lebt in einem beständigen innerlichen Krieg und Aufruhr, da alle Gegenstände aufs heftigste auf ihn würken. Es ist ein Bedürfniß seines Geistes, sich Feinde zu machen, mit denen er streiten kann; und dazu wird er nun freylich die schlechtsten nicht aussuchen. Er hat mir von allen denen Personen, auf die er losgezogen ist, mit ganz besondrer empfundner Hochachtung gesprochen. Aber der Bube ist kampflustig, er hat den Geist eines Athleten. Wie er der allereigenste Mensch ist, der vielleicht nur gewesen seyn mag, so fieng er mir einmal des Abends in Maynz ganz traurig an. „Nun bin ich mit all den Leuten wieder gut Freund, den Jacobis, Wieland – das ist mir gar nicht recht. Es ist der Zustand meiner Seele, daß, so wie ich etwas haben muß, auf das ich eine Zeit lang das Ideal des vortrefflichen lege, so auch wieder etwas für das Ideal meines Zorns. Ich weiß, das sind lauter vortreffliche Leute; aber just deshalb; was kann ich ihnen schaden? Was nicht Stroh ist, bleibt doch, und die Woge des Beyfalls, wenn sie sich auch eine Zeit lang abgewendet hat, fällt doch wieder zurück u. s. w.“

Ich mußte herzlich über seine Naivetäten dieser Art lachen, denn der Rectificirgeist ist bey ihm übel angebracht. Genug, ich konnte mich in die Möglichkeit seines Falles setzen und lachte ihn damit aus. Den ältesten Jacobi liebt er über alles. Er that mir sogar die Ehre, außerordentliche Aehnlichkeit mit ihm bey mir zu finden. Indessen hat er eine Schrift auf ihn gemacht, die er mir versichert, daß es das böste seye, was er in dieser Art gemacht habe. Sogar ein Frauenzimmer in Frankfurth, das mit Jacobi liirt ist, hat er hinein gebracht. Sie hat es ihn bey allem beschworen, ihr die Schrift lesen zu lassen und betheuert, daß sie nichts übel empfinden wolle. Er hat ihr aber geradezu versichert, daß es unmöglich sey, daß irgend ein Frauenzimmer in der Welt die Stellen nicht übel empfinden sollte. Nun wartet er bis Jacobi nach Frankfurth kommt; dem muß er es vorlesen, und dann will er es zerreißen.

[ Pniower Nr. 13: So viel von Goethe! Aber lange noch das geringste. Die ernsthafte Seite seines Geistes ist sehr ehrwürdig. Ich habe einen Haufen Fragmente von ihm, unter andern zu einem Doctor Faust, wo ganz ausnehmend herrliche Scenen sind. Er zieht die Manuskripte aus allen Winkeln seines Zimmers hervor. ] An den Leiden des jungen Werthers hat er zwey Monate gearbeitet und er hat mir versichert, daß er keine ganze Zeile darinn ausgestrichen habe. An Götz von Berlichingen 6 Wochen. Er macht wieder so eines, und noch ein dutzent andre – doch davon ein andresmal, wenn ich an unsern lieben Wieland schreibe, dem Sie mich indeß, sowie allen Freunden tausendmal empfehlen werden.