Zum ‘Urfaust’
Ein Brief Knebels an Friedrich Hildebrand v. Einsiedel
Mitgeteilt von Werner Deetjen (Weimar)
Strasburg den 11ten Jenner 1775.
Mein liebes Einsiedelchen,
Hab’ ich Ihnen gleich noch nicht geschrieben, so hab’ ich doch oft genug an Sie gedacht. Sie wissen, wie sehr ich Sie liebe. Sonsten bin ich zum Vielschreiber nicht gemacht, so wenig als zum Vielleser. Ich habe Ihnen tausend Sachen zu sagen, aber just die Menge erstickt mich. Ich hoffe auf künftigen Sommer, wo wir uns vielleicht in den friedfertigen Lauben des Belvedere leichter werden ausathmen können. Hier ist unser Leben beynahe etwas zu viel beschäftigt, und eben deshalb oft träge für den Geist. Alle Tage Assembleen, Ball, Redouten, Comedien, Supers und Diners, und dabey eine stürmende Menge Menschen, die sich zu amüsiren suchen. Auf mein schwaches Nervensystem hat dieser heftige Trieb von außen die Wirkung, daß er mich zuweilen entseelt, zumalen da mein Geist noch keinen gefunden hat, an den er sich anlehnen könnte.
Leben Sie wohl, liebes Einsiedelchen, und empfehlen Sie mich allen Freunden! [ Zeugnis Nr. 17: Um Ihnen noch den Inbegriff von meiner und unser aller Weißheit mitzutheilen, so hab’ ich Ihnen den Anfang der ersten Scene aus Göthens Docktor Faust abgeschrieben, den Sie sogleich Wieland mittheilen müssen, und ihm dabey den besten Kuß von mir auf die Wange drücken. Wann ich wieder zu Ihnen komme theil ich Ihnen vorher mit. ] Bertuchs Don Quixotte haben wir überall ausgebreitet. Empfehlen Sie mich ihm aufs beste. Allen Freunden! Schreiben kann ich nicht. Sie sollen mich jetzt bemerken lassen, dann will ich erzählen. Leben Sie nochmals wohl! v. Knebel.
Vergessen Sie doch den guten Wedel und den [hier ist ein Name unleserlich gemacht]! Ich sehe hier oft sein Bildniß erneuert, aber freylich nicht in so lieblicher Gestalt.
Unsere Prinzen lassen Sie gar schön grüßen.