1338.
1831, 21. Februar.
Mit Johann Peter Eckermann
Goethe lobte sehr die neueste Rede von Schelling [›an die Studirenden der Ludwig-Maximilians-Universität... am Abend des 30. Decembers 1830‹], womit dieser die Münchener Studenten beruhigt. »Die Rede,« sagte er, »ist durch und durch gut, und man freut sich einmal wieder über das vorzügliche Talent, das wir lange kannten und verehrten. Es war in diesem Falle ein trefflicher Gegenstand und ein redlicher Zweck, wo ihm denn das Vorzüglichste gelungen ist. Könnte man von dem Gegenstande und Zweck seiner Kabirenschrift dasselbige sagen, so würden wir ihn auch da rühmen 31 müssen; denn seine rhetorischen Talente und Künste hat er auch da bewiesen.«
[ Gräf Nr. 1888: Schelling's ›Kabiren‹ brachten das Gespräch auf die ›Classische Walpurgisnacht‹, und wie sich diese von den Brockenscenen des ersten Theils unterscheide.
»Die alte Walpurgisnacht,« sagte Goethe, »ist monarchisch, indem der Teufel dort überall als entschiedenes Oberhaupt respectirt wird; die classische aber ist durchaus republicanisch, indem alles in der Breite nebeneinander steht, sodaß der eine so viel gilt wie der andere, und niemand sich subordinirt und sich um den andern bekümmert.«
»Auch –« sagte ich – »sondert sich in der classischen alles in scharf umrissene Individualitäten, während auf dem deutschen Blocksberg jedes einzelne sich in eine allgemeine Hexenmasse auflöst.«
»Deshalb,« sagte Goethe, »weiß auch der Mephistopheles, was es zu bedeuten hat, wenn der Homunculus, ihm von thessalischen Hexen redet. Ein guter Kenner des Alterthums wird bei dem Worte thessalische Hexen sich auch einiges zu denken vermögen, während es dem Ungelehrten ein bloßer Name bleibt.«
»Das Alterthum –« sagte ich – »mußte Ihnen doch sehr lebendig sein, um alle jene Figuren wieder so frisch ins Leben treten zu lassen und sie mit solcher Freiheit zu gebrauchen und zu behandeln, wie Sie es gethan haben.«
»Ohne eine lebenslängliche Beschäftigung mit der 32 bildenden Kunst,« sagte Goethe, »wäre es mir nicht möglich gewesen. Das Schwierigste indessen war, sich bei so großer Fülle mäßig zu halten und alle solche Figuren abzulehnen, die nicht durchaus zu meiner Intention paßten. So habe ich z.B. von dem Minotaurus, den Harpyien und einigen andern Ungeheuern keinen Gebrauch gemacht.«
»Aber was Sie in jener Nacht erscheinen lassen,« sagte ich, »ist alles so zusammengehörig und so gruppirt, daß man es sich in der Einbildungskraft leicht und gern zurückruft und alles willig ein Bild macht. Die Maler werden sich so gute Anlässe auch gewiß nicht entgehen lassen; besonders freue ich mich, den Mephistopheles bei den Phorkyaden zu sehen, wo er im Profil die famöse Maske probirt.«
»Es stecken darin einige gute Späße,« sagte Goethe, »welche die Welt über kurz oder lang auf manche Weise benutzen wird. Wenn die Franzosen nur erst die ›Helena‹ gewahr werden und sehen, was daraus für ihr Theater zu machen ist! Sie werden das Stück wie es ist verderben, aber sie werden es zu ihren Zwecken klug gebrauchen, und das ist alles was man erwarten und wünschen kann. Der Phorkyas werden sie sicher einen Chor von Ungeheuern beigeben, wie es an einer Stelle auch bereits angedeutet ist.«
»Es käme darauf an,« sagte ich, »daß ein tüchtiger Poet von der romantischen Schule das Stück durchweg als Oper behandelte, und Rossini sein großes Talent 33 zu einer bedeutenden Composition zusammennähme, um mit der ›Helena‹ Wirkung zu thun. Denn es sind darin Anlässe zu prächtigen Decorationen, überraschenden Verwandlungen, glänzenden Costümen und reizenden Balleten, wie nicht leicht in einem andern Stück, ohne zu erwähnen, daß eine solche Fülle von Sinnlichkeit sich auf dem Fundament einer geistreichen Fabel bewegt, wie sie nicht leicht besser erfunden werden dürfte.«
»Wir wollen erwarten,« sagte Goethe, »was uns die Götter Weiteres bringen. Es läßt sich in solchen Dingen nichts beschleunigen. Es kommt darauf an, daß es den Menschen aufgehe, und daß Theaterdirectoren, Poeten und Componisten darin ihren Vortheil gewahr werden.« ]
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