[ Biedermann-Herwig Nr. 7209: Einleitendes.
Der zweite Theil von Goethes Faust ist meistens zu einer Zeit geschrieben, in der ich selber in Weimar anwesend war und im täglichen Verkehr mit Goethe mich sehr wohl als Augenzeuge betrachten darf. Die Periode des Niederschreibens dieser Dichtung fällt hauptsächlich in das Jahr 1823, in welchem ich nach Weimar kam, und setzt sich fort bis in den März 1832, wo der Faust abgeschlossen dalag und Goethe ihn als vollendet ansehen konnte. Es war das letzte Werk was Goethe geschrieben und das den Stempel der hohen Weissheit seines Alters trägt. [ Gräf Nr. 1337: Die Anfänge gehen noch bis zu Schillers Zeiten zurück und Goethe rühmte noch spät, dass ihm das Glück zu Theil geworden eine grosse Stelle der Helena Schillern noch vorlesen zu können. ]
Sowie nun Goethe das Glück anerkannte seine Dichtung Schillern vorlesen zu können, so wird es in noch erhötem Grade bei Schillern und jedem anderen der Fall gewesen sein, denn Goethe war der Mann dazu, sich als Vorlesender bewundern zu lassen, besonders in Dingen wie der Faust, welches als ein Stück seiner eigenen Seele zu betrachten XIist. Schon der Ton seiner Stimme war im hohen Grade merkwürdig; bald wie ein Gelispel, bald wie das Rollen eines Donners, durch alle denkbaren Naturlaute gehend, und dann wieder ging sie plötzlich zu ganz anderen Dingen über, wie zum Beispiel bei dem Schnarchen der Greise, welches er genau nachzuahmen versuchte, wobei gewöhnlich lauter garstige Töne zum Vorschein kamen, die gequetscht und mit sichtbarer Anstrengung aus der Kehle sich vernehmen liessen; und da war es wiederum, wo er sich gross zeigte, wenn er in dem Ton der Griechischen Tragödie mächtig erschütternde Dinge hervorbrachte. Am liebsten hörte man ihn jedoch wenn seine Stimme, durch keine Leidenschaftlichkeit gehoben, im ruhigen Gang der Rede dahin rollte, wie zum Beispiel in der Helena, wo das Geschrei der Kraniche zur Sprache kam, deren Getön von hoher Luft herab, den zuhörenden Wanderer hinaufzublicken anlockt.
So wie der Klang der Stimme eines Menschen zu seinen vorzüglichen Eigenthümlichkeiten zu zählen ist, so ist seine Handschrift nicht weniger merkwürdig und zu beachten. Den Ersten Theil des Faust schrieb Goethe wie er mir vor Jahren erzählte auf Postpapier; und zwar hütete er sich, darin die geringste Correctur zu machen, so dass das Manuscript als ein Muster von Reinheit anzusehen war. Diese saubere Handschrift XIIGoethes hat sich sein Lebelang erhalten. Ohne Pedanterie, ohne steif zu erscheinen, wie bei einem der nach Accuratesse strebt, und dann diesem Ziel ein solches Gepräge aufdrückt, dass man es jedem Worte ansieht: es ist darauf abgesehen eine grosse Nettigkeit und Sauberkeit zu zeigen, und so wie man zu sagen pflegt, stets im Sonntags-Anzug einher zu gehen, weit entfernt von diesem, bewegte sich seine Handschrift durchaus frei und ungezwungen. ]“
Diese Ausführungen sind nach Eckermanns Diktat von seinem Sohne Karl niedergeschrieben worden.
Ursprünglich hat Eckermann wohl die Absicht gehabt, die Niederschrift selbst zu besorgen, aber seine Kräfte haben dazu nicht mehr ausgereicht. Es erhellt das aus einem Versuche, den er mit Blei gemacht hat und der folgende wohl auch für die Gespräche über den zweiten Teil bestimmte Mitteilung betrifft:
„Den ersten Theil des Faust hat Goethe im Jahre 1775 geschrieben und zwar in seinem 25. Jahre im ersten Feuer1)1) In dem unten erwähnten Diktat heisst es „Kern“. seiner Jugend.“
Die Handschrift legt Zeugnis ab von dem Alter und Kräfteverfall des Schreibenden, dem die wenigen Zeilen gewiss grosse Mühe bereitet haben. Und aus diesem Grunde hat Eckermann daher auch wohl von einer Fortsetzung Abstand genommen und die XIIIobige Bemerkung noch einmal seinem Sohne Karl diktiert1)1) Auf dem betr. Blatte befindet sich noch ein anderes, nicht zur Sache gehörendes Diktat von Karl Eckermanns Hand über die nachfolgende, wohl nicht bekannte Aeusserung Goethes: „Goethe war von je von der Ansicht durchdrungen, dass in der Natur nichts tod sei. Auch in diesem Stück Zucker ist Leben, sagte er mir einst.“ .
Alsdann enthält der Nachlass von Karl Eckermanns Hand den folgenden Anfang einer Aeusserung Goethes, die es auch verdient, hier mitgeteilt zu werden:
„[ Gräf Nr. 1338: Hier also der Anfang! Da Sie mich kennen, so werden Sie nicht überrascht sein, ganz in meiner bisherigen milden Art! es ist als wäre alles in dem Mantel der Versöhnung eingehüllt. Wenn man bedenkt, welche Gräul, beim Schluss des zweiten Acts auf Gretchen einstürmten und rückwirkend Fausts ganze Seele erschüttern mussten, so konnt’ ich mir nicht anders helfen als den Helden, wie ich’s gethan, völlig zu paralisieren und als vernichtet zu betrachten, und aus solchem scheinbaren Tode ein neues Leben anzuzünden. Ich musste hiebei eine Zuflucht zu wohlthätigen mächtigen Geistern nehmen wie sie uns in der Gestalt und im Wesen von Elfen überliefert sind. Es ist alles Mitleid und das tiefste Erbarmen. Da wird kein Gericht gehalten und da ist keine Frage, ob er es ver XIVdient oder nicht verdient habe, wie es etwa von Menschen Richtern geschehen könnte. Bei den Elfen kommen solche Dinge nicht in Erwägung. Ihnen ist es gleich, ob er ein Heiliger oder ein Böser in Sünde versunkener ist, „ob er heilig ob er böse jammert sie der Unglücksmann“ und so fahren sie in versöhnender Weise beschwichtigend fort und haben nichts höheres im Sinne als ihn durch einen kräftigen tiefen Schlummer die Gräul der erlebten Vergangenheit vergessen zu machen: „Erst badet ihn im Thau aus Lethes Fluth.“ ]
Ein anderes nicht recht klares Diktat über die klassische Walpurgis-Nacht, das sich auf der dritten Seite des betr. Folio-Bogens, auf dem die obige Aeusserung Goethes steht, befindet, ist belanglos; ich bringe es aber der Vollständigkeit wegen hier auch zum Abdruck:
„Auf der Pharsalischen Ebene erschienen in jener Stunde, in der die klassische Walpurgisnacht gefeiert werden sollte, drei Figuren von hoher Bedeutung und von verschiedenen Richtungen. Erstens Faust, der die Helena zu finden suchte und bei allen Heroen des griechischen Alterthums sich nach ihr erkundigte; wodurch die Schicksale und der Lebensgang dieser berühmten Schönheit zur Sprache gebracht wurden. Hier muss zur Erwähnung kommen, an welchen der Heroen Faust sich wendet und was er von ihnen XVausforscht. Zweitens Mephistopheles, der auf diesem griechischen Blocksberg keine geringe Rolle spielt, und der in einem grossen Reich von Ungeheuern und Hässlichkeiten vielerlei Berührungen findet, die ihm zu schaffen machen. Seine nächste Absicht ist: die Phorkyaden aufzusuchen und sich von ihnen einen Zahn zu erbitten, welchen sie wechselweise einander sich leihen um desto schrecklicher zu erscheinen.“
Dass diese Diktate und Niederschriften in Eckermanns letzten Lebensjahren bewirkt worden sind, geht auch aus dem verwendeten geschnittenen Papier hervor.
Von Eckermanns Hand liegt schliesslich noch eine Bemerkung vor, die ebenfalls zur Sache gehört. Auf einem geschnittenen Bogen steht mit Tinte geschrieben:
„Einem Band Gespräche mit Goethe über den Zweiten Theil des Faust dürfte es zur Zierde gereichen wenn Goethes Tagebuch über meinen täglichen Verkehr mit ihm, demselben voranginge.“
Diese Bemerkung, die zeitlich den anderen nicht sehr fern steht, stammt noch aus Eckermanns besseren Tagen; die Handschrift ist, wenn auch verändert und das Alter verratend, doch klar und deutlich.
Leider sind Eckermanns Tagebücher nach dem Tode seines Sohnes Karl vernichtet worden, und somit ist die Quelle, aus der er schöpfte, und aus der wir noch weitere Aufschlüsse über „das grösste Werk deutscher Poesie“1)1) Auf einem unter den Entwürfen für die Einrichtung befindlichen Zettel steht (von Eckermanns Hand): „Zugleich gewönne man das nicht geringe Verdienst das grösste Werk deutscher Poesie, wovon bis jetzt niemand weiss was er daraus machen soll –“ hätten gewinnen können, versiegt.
Zum Schluss versäume ich nicht, auch an dieser Stelle dem General-Intendanten des Grossherzogl. Hoftheaters in Weimar, Herrn von Vignau, und dem Archivar des Goethe- und Schiller-Archivs, ebendaselbst, Herrn Dr. Schüddekopf, meinen verbindlichsten Dank für die freundlichst gewährte Auskunft auszusprechen.
Hannover, Februar 1901.
Friedrich Tewes.