19/5410. An Adam Heinrich Müller
Carlsbad, den 28. August 1807.
[ Gräf Nr. 1069a: Indem ich Ihnen, mein werthester Herr Müller, Ihre Vorlesungen zurückschicke, möchte ich diese Hefte gern mit etwas Freundlichem und etwas Bedeutendem begleiten. Das erste wird mir leicht, das zweyte im gegenwärtigen Augenblicke schwer; doch können Sie ja selbst wissen, was ich Ihnen auf beyde Weise zu sagen hätte. Der Schauspieler fühlt nicht lebhafter, daß er eines wohlwollenden Zuschauers bedarf, als wenn er eben abtreten will, der Dichter, wenn das 402 Stück zu Ende geht; und so will ich gern bekennen, daß es mich sehr freut, an Ihnen einen wohlwollend Theilnehmenden zu wissen und zu hinterlassen. Die Welt thut ihr Möglichstes, uns gegen Lob und Tadel gleichgültig zu machen; aber es gelingt ihr denn doch nicht, und wir kehren, wenn wir günstige und zugleich im Ganzen mit unsern Überzeugungen zusammentreffende Urtheile vernehmen, immer gar zu gern aus unserer Resignation zum Genuß zurück. ]
Über Amphitryon habe ich Manches mit Herrn von Gentz gesprochen; aber es ist durchaus schwer, genau das rechte Wort zu finden. Nach meiner Einsicht scheiden sich Antikes und Modernes auf diesem Wege mehr, als daß sie sich vereinigten. Wenn man die beyden entgegengesetzten Enden eines lebendigen Wesens durch Contorsion zusammenbringt, so giebt das noch keine neue Art von Organisation; es ist allenfalls nur ein wunderliches Symbol, wie die Schlange, die sich in den Schwarz heißt.
Der zerbrochene Krug hat außerordentliche Verdienste, und die ganze Darstellung dringt sich mit gewaltsamer Gegenwart auf. Nur schade, daß das Stück auch wieder dem unsichtbaren Theater angehört. Das Talent des Verfassers, so lebendig er auch darzustellen vermag, neigt sich doch mehr gegen das Dialektische hin; wie er es denn selbst in dieser stationären Proceßform auf das wunderbarste manifestirt hat. Könnte er mit eben dem Naturell und 403 Geschick eine wirklich dramatische Aufgabe lösen und eine Handlung vor unsern Augen und Sinnen sich entfalten lassen, wie er hier eine vergangene sich nach und nach enthüllen läßt, so würde es für das deutsche Theater ein großes Geschenk seyn. Das Manuscript will ich mit nach Weimar nehmen, in Hoffnung Ihrer Erlaubniß, und sehen, ob etwa ein Versuch der Vorstellung zu machen sey. Zum Richter Adam haben wir einen vollkommen passenden Schauspieler, und auf diese Rolle kommt es vorzüglich an. Die andern sind eher zu besetzen.
Mögen Sie mir künftig von sich oder von Andern manchmal etwas mittheilen, so soll es mir immer sehr angenehm seyn. Und nun noch einen Wunsch. Wenn Sie Ihre Betrachtungen, was in der deutschen Literatur geschehen, geschlossen haben, so wünschte ich, Sie bildeten uns auch eine Geschichte heraus, wie in der deutschen Literatur gedacht und geurtheilt worden. Wir stehen jetzt auf einem Punkte, wo sich das auch mit einer gewissen Freyheit übersehen läßt, und beydes hängt gar genau zusammen, weil doch auch die Hervorbringenden wieder urtheilen, und dieses Urtheil wieder ein Hervorbringen veranlaßt.
Verzeihen Sie, wenn ich in einem Briefe verfahre, wie man es im Gespräch eher thun darf, und füllen Sie die Lücken aus, die zwischen dem, was ich gesagt habe, geblieben sind.
Die Bekanntschaft des Herrn von Haza, der das 404 Gegenwärtige mitzunehmen die Gefälligkeit hat, ist mir sehr angenehm gewesen. Ich wünsche recht wohl zu leben und manchmal von Ihnen zu hören.
G.